Betriebschluss für Berliner S-Bahn?

s-bahnDie Betriebsgenehmigung für die S-Bahn läuft Ende des Jahres aus. Einige Mitarbeiter befürchten die Zerschlagung des Unternehmens nach einer möglichen Nichtverlängerung. In der jungen welt ist am 9. August 2010 ein Artikel zum Thema erschienenen, den wir an dieser Stelle dokumentieren.

Die Aufregung rund um die Berliner S-Bahn scheint sich etwas gelegt zu haben. Zwar ist das Unternehmen nach wie vor weit von einem Normalbetrieb entfernt, der Regelfahrplan kann aber mittlerweile weitgehend eingehalten werden, wenn auch teilweise mit verkürzten Zügen. Doch jetzt befürchten einige Mitarbeiter die baldige Auflösung des Unternehmens.

Statt der erhofften Gewinne in dreistelliger Millionenhöhe schreibt die Tochterfirma der Deutschen Bahn AG tiefrote Zahlen. Und dabei könnte es in den kommenden Jahren auch bleiben, da die jahrelange systematische Vernachlässigung der Wartung und Instandhaltung nunmehr ihren Tribut fordert. Nach mehreren Pannenserien im vergangenen Jahr mußten auf Anordnung des Eisenbahnbundesamtes (EBA) die Viertelzüge ganzer Baureihen zeitweilig aus dem Verkehr gezogen werden, was über Tage zum fast völligen Erliegen des S-Bahn-Verkehrs führte. Nur durch die Wiedereröffnung bereits geschlossener Werkstätten konnten die nach dem Desaster erteilten Wartungsauflagen erfüllt werden. Zudem weist die modernste Baureihe der S-Bahn (BR 481), die seit 1996 in Betrieb ist und den Löwenanteil des Fuhrparks ausmacht, gravierende konstruktive Mängel auf, u.a. bei Radscheiben und Bremsen, die nicht ohne weiteres durch den Einsatz anderer Komponenten abgestellt werden können. Nach heutigem Erkenntnisstand hätte die BR 481 seinerzeit keine Betriebserlaubnis erhalten dürfen. Neufahrzeuge können nur sehr langfristig beschafft werden, da es sich bei der Berliner S-Bahn um ein technisches Unikat handelt.

Wie bei fast allen Problemen der S-Bahn und anderer DB-Unternehmen spielte auch bei der Zugbeschaffung der Kostendruck der Konzernleitung die entscheidende Rolle. Dem Ziel, die Bilanz des bundeseigenen Unternehmens auf Börsenfähigkeit zu trimmen, wurde alles untergeordnet.

Vor diesem Hintergrund hat das EBA die Betriebsgenehmigung für die S-Bahn im vergangenen Jahr nur für zwölf Monate verlängert, ein in der deutschen Eisenbahngeschichte einmaliger Vorgang. Ende 2010 läuft die Genehmigung aus, bis Ende September müssen die Unterlagen für eine Verlängerung eingereicht werden. Ob das EBA die Genehmigung erteilt und wenn ja, mit welchen Auflagen, ist nach Angaben von Insidern derzeit völlig offen.

Senat erwägt Ausschreibung

In der Belegschaft sorgt nicht nur dieser Umstand für Unruhe. So erwägt der Berliner Senat als Auftraggeber des Schienenverkehrs in der Hauptstadt, den 2017 auslaufenden Verkehrsvertrag mit der S-Bahn GmbH für das Gesamtnetz nicht zu verlängern und ein Teilnetz – wahrscheinlich die Ringbahn- auszuschreiben. Und trotz der Beteuerungen von Bahn-Chef Rüdiger Grube und andere Topmanagern des Konzerns, die S-Bahn um jeden Preis wieder zu einem Vorzeigeunternehmen des Nahverkehrs machen und langfristig betreiben zu wollen, gibt es Befürchtungen, sie könnte bereits in einigen Monaten zerschlagen werden. Falls das EBA keine neue Betriebsgenehmigung erteilt.

In einem von einigen aktiven Kollegen verfaßten Flugblatt wurde vor einigen Tagen ein mögliches Szenario skizziert. Die einzelnen Bereiche der S-Bahn könnten demnach relativ problemlos in andere Konzerntöchter der Bahn AG eingegliedert werden, z.B. Werkstätten und Lokführer bei bei DB Regio, Fahrdienstleiter bei DB Netz, Marketing bei DB-Vertrieb usw. Die entsprechenden Strukturen seien bereits vorbereitet worden, heißt es in dem Flugblatt mit Bezug auf Äußerungen des S-Bahn-Managements auf einer Betriebsversammlung Ende Juli. Die Folge wäre u.a., daß die nach der Pannenserie mühsam durchgesetzten Verbesserungen, beispielsweise bei der Personalausstattung, dann wieder kassiert werden könnten.

Das Anfang August verteilte Flugblatt sorgte für hektische Reaktionen. Leitende Mitarbeiter hätten versucht, das Papier »regelrecht wieder einzusammeln«, wurde jW berichtet. Das interne Internetforum für Mitarbeiter wurde am Mittwoch abgeschaltet, nachdem es dort zu angeregten Debatten über die möglicherweie drohende Zerschlagung gekommen war. Man sei zu diesem Schritt gezwungen gewesen, weil es Beiträge gegeben habe, die »wir in unserer Verantwortung als Geschäftsführer nicht akzeptieren können«, hieß es zur Begründung.

Das Mitglied des Betriebsrats, Heiner Wegner, der bis zum Mai auch die Leitung dieses Gremiums innehatte, hält die Verbreitung »derartiger Gerüchte« für »wenig hilfreich«. Die Bahn-Spitze und besonders Vorstandschef Rüdiger Grube hätten sich eindeutig festgelegt, die S-Bahn als Unternehmen zu erhalten und zu einem Aushängeschild des Konzerns zu machen, so Wegner gegenüber jW. Da gebe es schon aus Imagegründen keinen Weg mehr zurück. Auch würde wohl kein Unternehmen eine Werkstatt wiedereröffnen, für die anderen Bestandsgarantien abgeben und neue Kollegen einstellen, wenn es insgeheim an seiner eigenen Zerschlagung arbeiten würde. Zwar werde das EBA, das seine Aufsichtspflichten bei der S-Bahn trotz eindeutiger Hinweise auf Mißstände jahrelang vernachlässigt habe, sehr genau hinschauen und möglicherweise auch Auflagen erteilen. Eine Versagung der Genehmigung wäre aber nicht vorstellbar. Sie würde auch keinen Sinn machen, weil es außerhalb des DB-Konzerns keinen Betreiber gebe, der kurzfristig in die Bresche springen könnte. Wegner bezeichnete es ferner als »kontraproduktiv« wenn einzelne Mitarbeiter vorbei am Betriebsrat das EBA mit anonymen Berichten über betriebliche Mängel »nahezu bombardieren«. Damit werde der Mitarbeitervertretung die Möglichkeit genommen, bei der Geschäftsführung auf Beseitigung der Mißstände zu drängen. Das schade dem gemeinsamen Anliegen aller S-Bahner, den Erhalt des Betriebes auch langfristig zu sichern.

Kritik am Betriebsrat

Die Kollegen, die hinter dem Flugblatt stehen, sehen dies allerdings anders. Sie fühlten sich vom Betriebsrat seit Jahren schlecht informiert und hintergangen und wollten daher eine breite Diskussion in der Belegschaft anregen, um Widerstand gegen eine mögliche Zerschlagung der S-Bahn vorzubereiten, hieß es gegenüber jW. Daß dies alles andere als ein Hirngespinst sei, zeige auch der jüngste Vorstoß der Berliner Senatoren für Wirtschaft und Finanzen, Harald Wolf (Die Linke) und Ulrich Nußbaum (SPD). Die hatten angekündigt, ab 2017 einen Teil der S-Bahn in Eigenregie unter dem Dach der kommunalen Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) betreiben zu wollen. Ein Beleg für die Zerschlagung der S-Bahn bereits zum Ende dieses Jahres ist das allerdings nicht.Wie die vollkommen überschuldete BVG und das chronisch klamme Land die dann nötigen Investitionen in eine neue Fahrzeuggeneration stemmen wollen, haben die Senatoren zudem nicht erläutert.
http://www.jungewelt.de/2010/08-09/039.php