Dokumentiert: Interview – »Taxifahrer können in Berlin keine Familie ernähren«

Taxischlange KampfInterview in der Tageszeitung junge Welt vom 24.08.2013 – Interview: Peter Wolter

Ver.di-Kollegen fordern: Jobcenter soll Vermittlung Arbeitsloser in das Taxigewerbe einstellen. Ein Gespräch mit Andreas Komrowski

Andreas Komrowski ist Mitglied der Berliner »Arbeitsgemeinschaft Taxi« in der Dienstleistunggewerkschaft ver.di

Die in ver.di organisierten Taxifahrer Berlins rufen für Dienstag zu einer Kundgebung vor der Bundesagentur für Arbeit Berlin-Mitte auf. Wogegen protestieren Sie?
Zunächst einmal dagegen, daß die Arbeitsagentur über Vermittlungsgutscheine immer mehr Leute ins Taxigewerbe vermittelt, ohne zu berücksichtigen, daß wir Fahrer jetzt schon kaum noch von dem Verdienst leben können. Dieser Protest ist aber nur eine Komponente in unserer Kampagne für 8,50 Euro Mindestohn.

Die Bundesagentur soll also damit aufhören, Arbeitslose für das Taxigewerbe zu rekrutieren?
Ja. Die bisherige Praxis ist so, daß sie per Gutschein Leute in unser Gewerbe vermittelt, die dort bestenfalls einen prekären Arbeitsplatz finden. Etwa jeder Dritte oder Vierte von uns ist heute schon »Aufstocker« – d.h., er verdient so wenig, daß er zusätzliche Leistungen von eben dieser Bundesagentur beantragen muß. Es werden teilweise sogar sittenwidrig niedrige Löhne gezahlt.

Es ist ein Unding, wie hier öffentliche Mittel verschleudert werden: Zunächst wird Geld für die Vermittlung gezahlt – dann bekommt der Vermittelte noch Geld, damit er von seiner Arbeit auch leben kann.

Wie muß man sich solche Vermittlungen vorstellen?
Nach unserer Kenntnis läuft das so ab: Die Arbeitsagentur gibt dem Erwerbslosen einen Gutschein über 1000 Euro, mit dem er sich bei einem Arbeitsvermittler oder einem »Maßnahmeträger« anmeldet. Von dort wird er zu einer Taxischule oder einem Taxibetrieb weitergereicht. Wenn der Arbeitsvertrag des Vermittelten nach einem halben Jahr immer noch besteht, gibt es noch einmal 1000 Euro – auch die werden an den »Maßnahmeträger« gezahlt, der unseres Wissens einen Teil davon an den jeweiligen Taxibetrieb weitergibt.

Die Ausbildung – der Taxischein also – ist in den vergangenen Jahren sehr teuer geworden. Früher hat das Ding mal 300 DM gekostet, inzwischen wollen die Taxischulen vierstellige Summen in Euro haben.

Was verdient ein Taxifahrer in Berlin?
Wir bekommen keine Stundenlöhne, sondern haben eine Umsatzbeteiligung. Wenn wir das, was dadurch hereinkommt, auf die Arbeitsstunde umrechnen, kommen wir auf 4,50 bis maximal sieben Euro. Brutto wohlgemerkt, ohne die gesetzlichen Abzüge. Man kommt damit sehr, sehr schlecht über die Runden, das Taxigewerbe ist ein extremer Niedriglohnsektor.

Wie sieht es denn bei Ihnen persönlich aus?
Brutto verdiene ich zur Zeit ungefähr 1000 Euro im Monat, mal etwas mehr – mal etwas weniger. Netto bleiben davon im Schnitt etwa 800 Euro.

Kann man Trinkgelder als festen Posten ins monatliche Budget mit einrechnen?
Was ich bekomme, landet umgehend in der nächsten Imbißbude. Es ist kein kalkulierbares Einkommen, die Höhe ist sehr schwankend. Wie international üblich, beläuft sich auch in Berlin das Trinkgeld auf fünf bis zehn Prozent der Taxiquittung. Dieser Posten ist aber viel zu unsicher, als daß man ihn fest in seine monatlichen Ausgaben einbeziehen kann.

Vergangenes Jahr haben wir per Fragebögen eine kleine Umfrage unter Berliner Taxifahrern gemacht: Demnach sind die niedrigen Löhne das eine Problem und die überlangen Arbeitszeiten das andere. Viele entscheiden sich nämlich dafür, noch ein paar Stunden länger hinter dem Lenkrad zu sitzen, damit sie nicht »aufstocken« müssen. Wer sechs Tage in der Woche und zwölf Stunden am Tag arbeitet, kann vielleicht auf 1500 Euro brutto kommen. Wie man es auch dreht und wendet – als Taxifahrer kann man in Berlin keine Familie ernähren.

Ich selbst kriege gerade noch die Kurve – ich bin alleinstehend und habe eine sehr niedrige Miete. Durch »Aufstocken« könnte ich 200 Euro im Monat hinzubekommen – dann müßte ich allerdings meine Ersparnisse unter dem Kopfkissen verstecken. Geld von der Arbeitsagentur gibt es bekanntlich erst dann, wenn alle Rücklagen aufgebraucht sind.

Ihre Forderungen an die Arbeitsagentur kennen wir jetzt – aber ist nicht auch der Berliner Senat verantwortlich?
In anderen Städten gibt es eine Obergrenze für Taxikonzessionen – Berlin sollte aufhören, sie unbegrenzt auszustellen. Es gibt hier schon mehr als 7000 Taxen und je mehr es werden, desto schärfer wird die Konkurrenz. Die Folge ist, daß der Umsatz pro Taxi sinkt und damit auch das Einkommen des Fahrers. Daher noch einmal unsere Forderung: 8,50 Euro Mindestlohn.

Quelle: junge Welt (jW) vom 24.08.2013