Beim Autokonzern Daimler in Berlin Marienfelde formiert sich innerbetrieblich seit einigen Jahren eine kämpferische gewerkschaftliche Opposition. Vom 15. bis 16. März 2010 finden Betriebsratswahlen in Marienfelde statt. Dort tritt auch die Alternative mit einer eigenen Liste an. Die Mehrheit im Betriebsrat wirft der Alternative nun Spaltung vor und droht sogar mit einem Ausschluss aus der IG Metall. Die KollegInnen der Alternative wollen dem Teil der Belegschaft eine Stimme geben, die sich durch die jetzige Betriebsratsmehrheit nur unzureichend oder nicht mehr vertreten fühlt. Dass ihnen deswegen mit Ausschluss gedroht wird zeigt, dass die Betriebsratsmehrheit nicht die inhaltliche Debatte sucht, sondern mit bürokratischen Maßnahmen auf oppositionelle KollegInnen reagiert. Im folgenden wird ein offener Brief des Forum Betrieb Gewerkschaft und soziale Bewegung sowie ein Artikel aus dem Berliner Anstoß dokumentiert.
Artikel im Berliner Anstoß
Betriebsratswahlen 2010:Zoff bei Daimler – Co-Management oder Interessensvertretung?
Das Jahr 2010 ist in zahlreichen Betrieben das Jahr der Wahlen. Die Werktätigen wählen ihre Interessensvertretung, den Betriebsrat. Mit den Wahlvorbereitungen werden in den Betrieben die Grundlagen und Ausrichtung für die Interessensvertretung der nächsten Jahre gelegt. Vor diesem Hintergrund wird sich der „Berliner Anstoß“ in den nächsten Ausgaben betrieblichen und gewerkschaftlichen Problemen zuwenden, um diese Wahlen auch inhaltlich zu begleiten.
Bei dem Autokonzern Daimler in Berlin Marienfelde schlagen derzeitig die Wellen hoch. Seit einigen Jahren formiert sich innerbetrieblich eine kämpferische gewerkschaftliche Opposition um den Betriebsrat und IG Metaller, Mustafa Efe, die sich um die Auseinandersetzung mit dem Entgeltrahmenabkommen (ERA) – im betrieblichen Sprachgebrauch auch „Erpresswerk“ oder „Entgeltreduzierungsabkommen“ genannt – deutlich gehör verschafft hatte. Bei Daimler in Berlin gab es massiven, wenn gleichwohl erfolglosen, Widerstand, um dieses von der IG Metall vereinbarte Tarifwerk, mit dem über eine neue Eingruppierungsstruktur mittelfristig Entgeltabsenkungen vorgenommen wurden. Zwar sicherte das Tarifwerk der damaligen Belegschaft über ein Zuschlagssystem ihren Bestand zu. Probleme für die Zukunft sind dabei aber vorprogrammiert, da derlei Vereinbarungen jeden Neueinsteiger benachteiligen, damit der Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ durchbrochen wird und über teilweiser Anrechnung von künftigen Lohnerhöhungen auf Lohn verzichtet wird. Doch nicht nur das. ERA gab nur den Anstoß zum Widerspruch in der Belegschaft. Der Betriebsrat gab aufgrund seines sozialpartnerschaftlichen Agierens schon länger Anlass zur Kritik, wenn auch immer nur vereinzelt und nicht koordiniert. Dies änderte sich mit der Einführung von ERA, da ein Teil der Belegschaft nicht bereit war die Zustände einfach zu akzeptieren. Mit der Herausgabe der Zeitschrift „Alternative“ verschaffte sich die gewerkschaftlich orientierte Opposition gehör im Betrieb und prangert seit nunmehr über drei Jahren Monat für Monat die Zustände öffentlich an.
Die Auseinandersetzung mit der Betriebsratsmehrheit verschärfte sich mit dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise, welche besonders die Autoindustrie und damit auch Daimler in Marienfelde traf. Gipfel ist eine betriebliche Vereinbarung für die „Wettbewerbsfähigkeit des Werkes Berlin“ mit der der Betriebsrat für den Aufbau einer neuen Produktion eintrat. Mit der Aussage Beschäftigung zu sichern wurde eine Vereinbarung geschaffen, „um eine positive Vorstandsentscheidung für die neuen zukunftsweisenden Produkte zu erhalten“. Deutlicher kann eine Anbiederung an das Kapital nicht formuliert werden. Faktisch ist dies die vom Kabinett und Kapital via Medien transportierte und forcierte und von fortschrittlichen Kräften genauso kritisierte so genannte Standortsicherungspolitik, mit der von den Werktätigen seit Jahrzehnten Zugeständnisse erpresst werden. Für die Werktätigen bei Daimler bedeutet es bspw. konkret, für den Fall das diese Produktion im Werk Berlin startet, dass sie zusätzliche Schichten leisten, bisher bezahlte Pausen in nichtbezahlte umgewandelt werden, der Samstag als Regelarbeitszeit eingeführt wird. Letzteres ist ein weiterer Tabubruch gegen erkämpfte Errungenschaften der Gewerkschaftsbewegung. Der Betriebsrat feiert diese Vereinbarung als Erfolg, da über die Verhandlungen der „Standort und die Kolleginnen und Kollegen“ abgesichert und eine Ausgliederung verhindert werden konnte.
Die Empörung der Betriebsrats- bzw. Vertrauensleuteminderheit ist daher groß. Sie kritisieren vor allem, dass kampflos Zugeständnisse für leere Versprechungen gemacht wurden. Obwohl inzwischen Studien nachweisen, dass die Lohnstückkosten in Deutschland geringer sind als das Kapital behauptet und dass mit Lohnverzicht keine Arbeitsplätze geschaffen werden: „Verzicht ohne Ende: Der Verzicht war für die Profite der Aktionäre nie hoch genug. Jedes Zugeständnis macht sie nur noch hungriger.“, heißt es daher folgerichtig in der Zeitschrift „Alternative“.
In Vorbereitung der Betriebsratswahlen hat diese Gruppe angekündigt mit einer eigenen Liste anzutreten. Damit hat sie den Zorn der Betriebsratsmehrheit endgültig auf sich gezogen. Mit dem Vorwurf der Spaltung der Belegschaft wird ihnen die Wahrnehmung betriebsverfassungrechtlich garantierter Rechte abgesprochen. Die Vertrauensleute- bzw. die Betriebsratsmehrheit tritt für eine Fortführung der Persönlichkeitswahl ein. Mit dem Auftreten einer zweiten Liste ist jedoch „nur“ Listenwahl möglich. Damit hätten die Werktätigen Daimlers statt 23 nur 1 Stimme bei der Wahl (siehe Infokasten). Dem Anschein nach also undemokratischer. Vor dem Hintergrund der aufgezeigten Probleme im Betrieb sind aber die Meinungsverschiedenheiten soweit vorgeschritten, dass eine Listenwahl nur folgerichtig ist, da die derzeitigen Verhältnisse sonst nur zementiert werden. Beispiele in anderen Großbetrieben – so bspw. vor längeren Jahren im BMW Werk Berlin, aber auch in anderen Daimlerbetrieben – machen dies deutlich. Die jeweiligen Mehrheiten sind aufgrund von Freistellungen etc. eindeutig im Vorteil und werden – so zeigen die Erfahrungen der Vergangenheit – dies auch entsprechend einsetzen. Minderheiten sind häufig gerade in Großbetrieben auch in einem Werk immer begrenzt und haben es daher schwer ihren Bekanntheitsgrad zu erhöhen. Ungünstige Ausgangsbedingungen also und so kann nur mit der Listenwahl wieder ein gemeinsamer Diskussionsrahmen gefunden werden. Der Spaltungsvorwurf geht daher ins Lehre, da ein Spaltung mit der bisherigen Politik der Betriebsratsmehrheit vollzogen wurde. Die Werksleitung von Daimler hat ebenfalls erkannt, dass eine Richtungsentscheidung im Betrieb ansteht. Zur Beruhigung sagte sie – trotz der „angespannten“ Lage des Unternehmens eine bisher ausgesetzte Sonderzahlung zu. Mit einer kämpferischen Opposition im Betrieb lassen sich Unternehmensentscheidungen nicht mehr so leicht durchsetzen. Für die Unternehmensleitung also eine Investition in die Zukunft. Für die Werktätigen eine Beruhigungspille. Ob sie Wirkung erzielt, werden die BR-Wahlen im nächsten Jahr zeigen.
Entgeltrahmenabkommen (ERA) in der Metallindustrie
Das Entgeltrahmenabkommen „ERA“ steht für ein in den Grundzügen vereinbartes neues Entgeltsystem in der Metall- und Elektroindustrie, welches von den Tarifparteien in Berlin Brandenburg 2005 vereinbart wurde. Der Entgeltrahmen hob die bis dato Trennung zwischen Arbeitern und Angestellten in dieser Branche auf und vereinbarte 13 gemeinsame Entgeltgruppen. Die Umstellung auf das neue Entgeltsystem lief unter Beteiligung der Betriebsräte zwischen 2006 und Mitte 2009 und lief unter Beteiligung der Betriebsräte. Seiten der Unternehmen werden derartige Prozesse genutzt um das Entgeltniveau zu senken, so auch in der Metallindustrie. Soweit die betroffenen Betriebsräte gut aufgestellt sind, ist die die Einführung eines neuen Entgeltsystems für eine Belegschaft mit keinen oder nur mit wenigen relativ geringen Verlusten verbunden. Über ein Ausgleichssystem werden die zum Zeitpunkt der Einstellung beschäftigten Mitarbeiter abgesichert. Am meisten Probleme bekommen neu eingestellte Mitarbeiter, deren Entgelte sind dann deutlich geringer, so dass sich das neue System mittel- bis langfristig für das Unternehmen bezahlt macht.
Betriebsrat, Betriebsratswahlen
Als betriebliche Interessensvertretung der Werktätigen wird der Betriebsrat nach den Regeln des Betriebsverfassungsgesetzes i.d.R. alle vier Jahre neu gewählt. Das Jahr 2010 ist hier das Superwahljahr, da in vielen Branchen gewählt wird. Die Anzahl der Mitglieder des Betriebsrates richtet sich nach der Anzahl der im Betrieb beschäftigten Werktätigen. Die Wahl erfolgt in geheimer und unmittelbarer Wahl, nach den Grundsätzen der Verhältniswahl bzw. soweit nur ein Wahlvorschlag eingereicht wird nach der Mehrheitswahl. Werden mehrere Wahlvorschläge eingereicht, handelt es sich um eine Verhältniswahl bei der dann über die eingereichten Listen abgestimmt wird. In diesem Fall hat der Werktätige eine Stimme für die Wahl einer Liste. Der Betriebsrat setzt sich dann in der für die Listen im Verhältnis abgegebenen Stimmen zusammen. Die über die Listen gewählten Mitglieder des Betriebsrates bilden dann quasi die jeweiligen Fraktionen ihrer Listen im Betriebsrat. Grundsätzlich besteht in vielen Betrieben das Bestreben mit nur einem Wahlvorschlag damit über eine Persönlichkeitswahl den Betriebsrat zu wählen. Dann hätte der Werktätige eine Stimmenzahl entsprechend der Größe des Betriebsrates.
Rainer Perschewski
Offener Brief vom Forum Betrieb, Gewerkschaft und soziale Bewegung
An den Betriebsrat und die Vertrauenskörperleitung
des Daimler Werkes in Berlin Marienfelde,
an die Ortsverwaltung Berlin, die Bezirksleitung Berlin-Brandenburg
und den Vorstand der IG Metall
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
mit Erstaunen müssen wir registrieren, dass gegen organisierte und engagierte GewerkschafterInnen im Daimler Werk Berlin-Marienfelde mit Ausgrenzung und der Drohung eines Ausschlusses aus der IG Metall reagiert wird, nachdem sie die Anerkennungals eine weitere IGM-Liste zur Betriebsratswahl beantragt hatten. Wir dachten die Zeiten der Ausschlüsse oppositioneller KollegInnen und Listen gehören der Vergangenheit an.
Wie in zahlreichen Betrieben, so gibt es auch unter den gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten bei Daimler in Marienfelde unterschiedliche Vorstellungen über Inhalt, Ziele und Methoden der Interessenvertretung durch den Betriebsrat. Die Kontroversen sind augenscheinlich so groß, dass die Aufstellung einer gemeinsamen Liste weder möglich noch sinnvoll erscheint. Die KollegInnen der „Alternative“ nehmen schlicht ihr Recht aus dem Betriebsverfassungsgesetz war. Mit ihrer Beteiligung an den Betriebsratswahlen verschaffen sie dem Teil der Belegschaft eine Stimme, der sich durch die jetzige Betriebsratsmehrheit nur unzureichend oder nicht mehr vertreten fühlt.
Die Geschlossenheit – nicht nur der IGM sondern möglichst der gesamten Belegschaft – ist notwendig in der praktischen Auseinandersetzung mit dem Arbeitgeber. Sie in der Debatte um gewerkschaftliche Ziele und zu den Betriebsratswahlen einzufordern, läuft darauf hinaus, bürokratische Maulkörbe zu verhängen. Geschlossenheit setzt Einsicht und Überzeugung voraus. Die kann man nicht verordnen, sie kann nur das Ergebnis einer freien, kontroversen und öffentlichen Debatte sein.
Bei den Betriebsratswahlen 2010 geht es nicht nur bei Daimler um die Frage: Können die Betriebsräte die Belange der Belegschaften am besten vertreten in enger Kooperation mit den Arbeitgebern oder sollen sie auf eine eigenständige Interessenvertretung auch in Konfrontation mit den Geschäftsleitungen setzen?
Dabei geht die Konfrontation zunehmend von den Unternehmen und ihren Verbänden aus, die weder Rücksicht auf die Interessen ihrer Beschäftigten noch auf bisher praktizierte Methoden der Sozialpartnerschaft nehmen. Sollen sich die gewerkschaftlichen Interessenvertreter in den Betrieben den Diktaten ihrer Firmenleitungen beugen, um den sozialen Frieden und die „Partnerschaft“ mit „ihren“ Unternehmen nicht aufs Spiel zu setzen? Diese Fragen gehören unseres Erachtens offen diskutiert. Sie lassen sich, auch mit Hinweis auf Satzungsbestimmungen und der Drohung des Gewerkschaftsausschlusses nicht unterbinden.
Wir sind der Meinung, dass euer Verhalten und eure Androhungen, die Kollegen der Alternative auszuschließen, Ausdruck einer zutiefst undemokratischen Herangehensweise sind. Wir sind der Meinung, dass es die Aufgabe aller fortschrittlichen Gewerkschaftsmitglieder ist, sich für die innergewerkschaftliche Demokratie einzusetzen und diese einzufordern und undemokratische Strukturen und Verhalten zu bekämpfen.
Wir bedauern außerdem die Absage der Ortsverwaltung, der Betriebsratsmehrheit und der VK-Leitung, an unserer Veranstaltung zu diesem Thema nicht teilzunehmen und sich der offenen und öffentlichen Debatte nicht zu stellen.