Seit dem Beginn der globalen Krise in den Jahren 2007/2008 hat sich ein welthistorisch einmaliger Kampfzyklus über den ganzen Globus ausgebreitet: von der Welle der food riots 2008 über die neuartigen Streiks der WanderarbeiterInnen in China im Sommer 2010 bis zu den revolutionären Aufständen in Nordafrika seit Anfang 2011. Im Vergleich dazu schien in Deutschland, Österreich und der Schweiz der „soziale Friede“ trotz massiver sozialer Angriffe und fortschreitender Prekarisierung nicht in Gefahr zu sein. Die offiziellen Gewerkschaften verstärkten sogar noch ihre sozialpartnerschaftliche Zusammenarbeit mit Staat und Kapital und nahmen Entlassungen, Reallohnsenkung und Ausweitung der Leiharbeit hin.
Die Beiträge des Buchs begeben sich auf Spurensuche und decken eine immer wieder verschüttete Geschichte selbständig geführter Arbeitskämpfe in diesen Ländern auf. Das in der Öffentlichkeit vorherrschende Bild einer „Krise ohne Widerstand“ beruht nicht einfach auf dem Ausbleiben von Kämpfen, sondern auf der sehr aktiven Behinderung und dem Totschweigen von Kampfansätzen, die es auch in diesen Ländern im Rahmen der Krise gegeben hat und gibt. Das Buch will damit auch in der Linken dazu anregen, sich wieder aktiver auf diese „verborgenen Stätten“ des alltäglichen Konflikts zu beziehen und die in ihm enthaltenen Potentiale freizulegen.
Buchvorstellung und Diskussion mit Willi Hajek, Christian Frings und Bärbel Schönafinger.
Dienstag | 24. April 2012 | 19 Uhr | Berlin | Café Commune | Reichenbergerstr. 157
Leder, Anna (Hg.) – Arbeitskämpfe im Zeichen der Selbstermächtigung
Kollektive Gegenwehr in Frankreich, Deutschland, der Schweiz, Österreich und Serbien
Weltweit und auch in Europa treten Unternehmen zunehmend aggressiver auf. Die Gewerkschaften weichen vor ihnen zurück. In den vergangenen Jahren entstanden daher europaweit „wilde” Arbeitskämpfe. Von den unterschiedlichen Formen dieses Widerstandes, von Streiks und Betriebsbesetzungen, von Managerfestsetzungen und spontanen Kundgebungen berichten die AutorInnen in diesem Buch.
Die großen Gewerkschaftsverbände stehen den Veränderungen auf den Arbeitsmärkten immer hilfloser gegenüber. Sinkende Löhne, steigende Arbeitszeiten, die Aushöhlung arbeitsrechtlicher Standards und die Zunahme befristeter, prekärer Arbeitsverhältnisse haben tiefe Spuren der Verunsicherung und der Entsolidarisierung in der Gesellschaft hinterlassen. Diese Entwicklung hat zu einer tiefen Legitimationskrise der Gewerkschaften geführt.
Doch eine wachsende Anzahl von Belegschaften ist nicht mehr bereit, die sozial verheerenden Auswirkungen der Konzernpolitiken hinzunehmen. Sie beginnen, sich selbst zu ermächtigen und einen Ausweg aus ihrer oft existenziell bedrohlichen Situation zu suchen. „Wilde“ Arbeitskämpfe finden in den unterschiedlichsten Branchen statt: in der Metallindustrie genauso wie im Textil- und Bekleidungssektor oder in der Automobilindustrie. Demokratische Entscheidungsstrukturen in Basisorganisationen sind in diesen Kämpfen von wesentlicher Bedeutung. Dementsprechend vielfältig sind auch die Formen, die die Auseinandersetzungen annehmen.
Die meisten dieser Kämpfe bleiben isoliert und enden nur bedingt erfolgreich. Ihre gesellschaftlich emanzipatorische Bedeutung liegt eher in der Form ihrer Organisierung als in ihren Inhalten.
Im vorliegenden Band werden Arbeitskämpfe in unterschiedlichen Ländern vorgestellt sowie ihre Geschichte seit 1945 beschrieben. Während in Frankreich Basisgewerkschaften entstanden sind und Massenbewegungen wie jene gegen die Pensionsreform 2010 ohne selbstorganisierte Netzwerke nicht mehr denkbar wären, gibt es in Deutschland zwar gesellschaftlich bedeutende, von Belegschaften getragene Auseinandersetzungen, doch bleiben diese meist isoliert voneinander. In Serbien entstanden in den vergangenen Jahren große und radikale Streikbewegungen, deren Verbindung untereinander allerdings kaum existiert. Die Schweiz, vermeintlich das Land des Arbeitsfriedens, erlebt ebenfalls seit Jahren selbstorganisierte Arbeitskämpfe, wobei sich vor allem infolge eines äußerst erfolgreichen Arbeitskampfes bei der Schweizer Bahn 2007 die Qualität der Arbeitsauseinandersetzungen verändert hat. Im sozialpartnerschaftlich reglementierten Österreich hingegen sind Spuren der Selbstermächtigung erst unter der Oberfläche eher traditionell geführter Arbeitskämpfe zu finden.
Promedia Verlag, Wien | ISBN 978-3-85371-333-4 | 224 Seiten | 17,90 Euro