Gegen Ausbeutung in Spätverkäufen

Viele Beschäftigte im Handel sind mit Dumpinglohn, langen Arbeitszeiten und schlechten Arbeitsbedingungen konfrontiert. Wir machen einen konkreten Fall in Berlin-Friedrichshain öffentlich, wo sich ein Kollege gegen die Bedingungen gewehrt hat und gekündigt wurde. Aber damit ist sein Widerstand und unsere Unterstützung nicht zu Ende….
Viele Bewohner_innen von Szenekiezen und damit auch viele Linke frequentieren kleine „Spätverkaufläden“, die auch an Sonntagen und fast rund um die Uhr geöffnet haben. Wer so einen Laden um die Ecke hat, gibt zwar etwas mehr Geld aus, muss sich aber um einen gefüllten Kühlschrank keinen Kopf machen. Das ist bequem. Weniger bequem und auch kaum bekannt sind die Arbeitsbedingungen der dort Beschäftigten. Wir möchten hier den Fall unseres Freundes und Kollegen schildern. Dieser dürfte noch nicht einmal die schlechte Trendspitze des Eisbergs informeller Arbeitsverhältnisse im Kleinhandel darstellen, aber umso mehr exemplarisch sein. Unser Kollege arbeitete über zwei Jahre in einem Spätkauf in der Samariterstr. 3 in Berlin Friedrichshain. Er hat eine kaufmännische Ausbildung und bezog als Langzeiterwerbsloser ALG II. Über Bekannte erfuhr er, dass der Inhaber, Herr Saeed, eine Arbeitskraft sucht. Gut, mensch soll sich ja bewerben…

Minijob mit 60 Stunden Woche

Er stellte sich vor und es wurde vereinbart, dass er einen Minijob bekommt, der mit 120 Euro im Monat vergütet wird und damit auf ALG II nicht angerechnet. Soweit, so legal– ein Minijob soll wie der Name sagt zeitbegrenzt sein, Jedoch verlangte der Chef, dass unser Kollege viel länger bleibt, nämlich 6 Tage die Woche bis zu 10 Stunden täglich! Es gab in dieser Zeit keine Pause, dass heißt unser Kollege musste während der Arbeit essen. In Einzelfällen konnte auch mal ein Tag Pause gemacht werden, oder abgelaufene Getränke mitgenommen, sogar Flyer ausgelegt werden.

Eine solche „Großzügigkeit“, die psychologisch als vermeintlicher wechselseitiger Vorteil wirken soll, ist jedoch mehr als zynisch. Wochenarbeitszeiten von 60 Stunden sind gesetzlich untersagt, und umgerechnet beläuft sich der „Minijob“ auf ca. 1,50 Euro bei Vollzeitbeschäftigung. Doch was sollte unser Kollege machen ? Wer am Existenzminimum lebt, braucht die zusätzlichen 120 Euro, egal wie.

Also zeigte er die illegalen Arbeitsbedingungen nicht an, wie die meisten, die ihnen unterworfen sind. Doch irgendwann ist das Maß voll. Im Laden befanden sich schon die ganze Zeit Überwachungskameras. Hm, das verursacht ein doofes Gefühl, aber solange es gegen Überfälle geht, mag die Maßnahme ja akzeptabel sein. Jedoch wurde die Anlage eines Tages so verändert, dass nur noch ein Kamerabild auf dem Überwachungsmonitor zu sehen war – mit vollem Blick auf die Kasse bzw. unseren kassierenden Kollegen.

So als mutmaßlicher Dieb stigmatisiert, forderte er seinen Chef auf, die Kamera zu entfernen. Der Chef reagierte mit der Aufforderung, nicht mehr zu kommen- und schickte ihm eine Kündigung angeblich „auf eigenen Wunsch“. Ein solcher Schrieb hat jedoch im Unterschied zu einer regulären Kündigung in der Regel eine dreimonatige Sperrfrist beim Jobcenter zur Folge. Dass bedeutet für unseren Kollegen Sanktionen im Rahmen des Hartz IV-Regimes in Form von Kürzungen der Gelder, die sowieso schon unter dem Existenzminimum liegen.

Wir – die Schreiber_innen dieses Artikels- sind Gewerkschaftsaktivist_innen. Wir gehen davon aus, dass der Chef mit Absicht eine unserem Kollegen diskreditierende Kündigung wählte, da er bereits vorher bei der Arbeit nicht alles gefallen ließ und auch weitere Arbeitskolleg_innen dazu ermunterte.

Pragmatisch, wie wir als Menschen der Jetztzeit sozialisiert sind, suchten wir am 9.8. Herrn Said in einen weiteren seiner Läden in der Frankfurter Allee 51 in Berlin-Friedrichshain auf. Dort stellten wir ihn zur Rede und verlangten, dass er eine für unseren Kollegen repressionsfreie Kündigung aus betrieblichen Gründen ausstellt, da dieser lediglich verlangt hatte, dass die ihm auf die Finger schauende Kamera so nicht installiert wird.

Naiverweise dachten wir, Herr Saeed könnte selbst daran Interesse haben, dass unser Kollege seinen Job ohne Sanktionen vom Jobcenter beenden kann. . Schließlich hat er ihn unter Ausnutzung einer Notlage massiv ausgebeutet, dass massives Lohndumping begangen wird , welches auch gegen Gesetzesnormen dieser kapitalistischen Gesellschaft (Sittenwidrigkeit) verstößt.

Herr Saeed dachte jedoch nicht an eine gütliche Einigung, sondern verwies uns unter völlig irrelevanten Anschuldigungen gegen unseren Kollegen barsch des Ladens, meinte, alles möge über Anwälte laufen. Auch ein letztlicher Hinweis, dass wir auch Öffentlichkeit herstellen könnten, stieß auf taube Ohren.

Daher wird er im für soziale Konflikte sensiblen Bezirk Berlin-Friedrichshain mit beidem leben müssen.

Wir wissen, dass das Verhalten von Herrn Saeed kein Ausnahmefall ist. In früheren Situationen betonte er schon mal, er wäre für die Bezahlung unseres Freundes gar nicht zuständig , das ALG II sei ja auch Lohn. Also Bürgergeld auf illegal-ultraneoliberal durch die dreiste kalte Küche ? Zumindest korrenspondiert sein Alltagsbewusstsein mit den entsprechenden Diskursen. Da Strukturen/Diskurse jedoch nie ohne Träger_innen funktionieren, sehen wir hier zumindest einen konkreten Ansatz, gegen die Ultra-Ausbeutung im prekären Bereich Farbe zu bekennen und bitten um dementsprechende Verbreitung dieses Textes.

Nur die bewusste Herstellung der Solidarität zwischen den in prekäre Verhältnisse Gestoßenen und der ganzen Arbeiter_innenklasse kann der Ausbeutung und Kapitalverwertung Grenzen setzen.

von einige Gewerkschafter_innen und Kolleg_innen